Im Trainingslager

Von 02.-05.01.2015 habe ich ein Trainingslager bei „dem Reisenden“ besucht.
Seit Fronleichnam 2014 trainiere ich regelmäßig bei CC – und merke immer mehr, dass Bogenschießen nicht allein aus „im Wald herumlaufen und Ziele treffen“ besteht. Obwohl man auch das kann, so habe ich ja angefangen! 😉

Im Februar 2014 hatte ich an einem Sonntag nichts „Besseres“ zu tun, und so nahm ich die Einladung von zwei Freunden wahr, doch einmal mit zum JBC Wuppertal zu gehen. Ich packte also meinen alten „Flitzebogen“ und ein paar Holzpfeile ein (alles Geschenke eines leider vor zwei Jahren verstorbenen Freundes, der guten Freunden immer wieder gerne eine Freude machte) und fuhr nach Wuppertal. Dort wurde ich von Mike (JBC-Vorstand) herzlich empfangen und bekam eine kleine Einweisung auf der Einschießbahn. In den 90ern habe ich mal ein Schnuppertraining in einem Freizeitpark absolviert und wusste bereits, dass ich eine „Linke“ bin. Warum mein oller Flitzebogen nun ein Rechtshandbogen ist – keine Ahnung… Jedenfalls kam ich absolut nicht damit zurecht, da mein rechtes Auge durch starkes Schielen im Kindesalter im Regelfall „abgeschaltet“ ist. Aber für einen Tag Spaß auf dem Parcours reichte es vollkommen. Fast alle Pfeile kaputt – aber glücklich! 😀 Alleine das Draußen-Sein und mit Freunden ein paar schöne Stunden haben war so schön und erfüllend, dass ich mir wenige Tage später einen Falco-Langbogen, passende Pfeile und die notwendige Ausrüstung zulegte. Da war ich mal kurz 400 EUR los – und durch den anfänglichen Pfeilverlust (verloren oder kaputt) kamen in den nächsten Monaten noch diverse Euronen d’rauf. Dazu die Fahrerei nach Wuppertal: plötzlich verdoppelte oder -dreifachte sich meine monatliche km-Leistung. Natürlich wurde ich auch Vereinsmitglied, da man bereits mit zweimaliger Geländenutzung pro Monat den Monatsbeitrag heraushat. 😉 Damals war meine Denke: „ach, zweimal im Monat komme ich sicher“… Bereits im März war ich jeden Sonntag auf dem Platz, nach und nach kamen weitere Tage hinzu. Sogar unter der Woche nach der Arbeit habe ich mich aufgemacht um Pfeile zu werfen (ein Bogen „schießt“ nicht, sondern „wirft“). Die Leute und die Atmosphäre im Verein haben mich einfach angesprochen: egal wer man ist oder woher man kommt – alle eint die Freude am Erlebnis in der Natur und die Leidenschaft am Sport. Im März kamen außer mir noch mehr Neumitglieder dazu und bald fand sich ein Grüppchen, das sich jeden Sonntag „traf“ (natürlich nicht mit Pfeilen… 😀 ) – erstmal Kaffee trinken und dann los: „Gummitiere erlegen“!

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Anfänglich habe ich natürlich fröhlich vor mich hin dilettiert, ich wusste es ja nicht besser. Da bekommt man „mal hier mal dort“ einen Tipp von Vereinskameraden – aber manchmal widersprachen sich die Hinweise. Wie man also besser trifft, erschloss sich mir kaum. Zumal ich durch mein nur rudimentär vorhandenes räumliches Sehvermögen (20%) eh‘ ein Handycap habe Entfernungen einzuschätzen. Je besser ich den Parcours kenne, desto leichter fiel es mir natürlich – das Gehirn bastelt sich aus den Eindrücken und Erfahrungen genug zurecht, so dass ich früher sogar die großen Rettungsfahrzeuge „auf den cm“ in die Garage setzen konnte. So geht es mir auch mit „bekannten“ Zielen. Sicher fällt mir das Thema „unbekannte Entfernung“ daher schwerer als anderen Schützen, aber da ich nie anders = „normal“ sehen konnte, fehlt mir der Vergleich.

Nach ein paar Wochen erfuhr ich, dass an Pfingsten ein Trainingslager sein sollte: professioneller Trainer, 160 EUR. Da war ich dann schon zum dritten Mal zu meinem „Bogen-Dealer“ gefahren, weil ich neue Pfeile brauchte. Nein, die 160 EUR waren definitiv nicht drin, ich hatte an den Feiertagen teilweise zu arbeiten (hätte also eh‘ nicht an allen Tagen gekonnt)… außerdem, was will ein Frischling wie ich dort, die teilnehmenden Schützen hatten teilweise über 20 Jahre Erfahrung!

Im Mai habe ich „trotzdem“ mein erstes Turnier geschossen! Eigentlich wollte ich nur zuschauen, Krefeld liegt bei mir quasi um die Ecke. Aber ein Starterplatz war frei geworden, und so war ich eben mit dem Bogen statt mit der Kamera dabei (siehe gesonderter Blog-Beitrag „Krefelder Pirsch“). Immerhin habe ich 156 Punkte geschafft, also 8 von 32 Zielen „irgendwie“ getroffen – und war nicht Letzte! 😉

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Pfingstsonntag war ich natürlich trotzdem bei uns auf dem Platz und erfuhr, wie toll das Trainingslager sei! Tja, lernen würde ich ja schon gerne… Besonders als Anfänger gewöhnt man sich doch allerhand an, was im Endeffekt nicht gesund und/oder effektiv ist. Man kann sich im Bogensport gesundheitlich viel kaputt machen, wenn man ihn nicht bewusst betreibt! Und ohne saubere Technik wird es eben auch mit dem Treffen nichts.

Fronleichnam wäre „der Reisende“ wieder hier – wenn ich wollte, könnte ich mitmachen! Ja klar: gerne! Einen Tag würde ich mir einfach mal gönnen…
Neue Welten taten sich auf! Das fing schon damit an, wie die Füße stehen. Ich hatte so ziemlich alles „falsch“ gemacht, was man nur falsch machen konnte. Und nicht zu fassen: kaum hatte ich einen stabileren Stand, landeten meine Pfeile auch mehrheitlich irgendwo auf der Scheibe und nicht im Gelände! Der Tag war anstrengend, aber so lohnend!
Zunächst war ich ein wenig skeptisch: da standen Schützen auf dem Platz, die beispielsweise bei WA (früher FITA)-Wettbewerben auf Bundesebene antreten – wie würden die mich wohl aufnehmen… Meine Bedenken waren völlig unbegründet: jeder wurde und wird so angenommen wie er ist, egal welches Niveau, FITA, Feld oder 3D, oder welche Bogenklasse – einzig wichtig: der Wille an sich zu arbeiten!
Wow! Vermutlich habe ich hinterher nichts umsetzen können, aber zu spüren „Da geht was!“ war unbeschreiblich!

Vor allem, wenn es „sonst“ nicht so gut läuft: egal ob im Bürojob (drohender Arbeitsplatzverlust), in der selbständigen Tätigkeit (drastischer Umsatzrückgang aus nicht von mir zu vertretenden Gründen) oder privat (mehrere Todesfälle, (teils schwere) Krankheiten etc.)… Beim Bogenschießen konnte ich den Alltag oft hinter mir lassen. Stand ich einmal auf dem Platz und wälzte eigentlich Probleme, war auch das Trefferbild entsprechend schlecht. Konzentration, Achtsamkeit und Geduld waren also meine große Baustellen – und daran zu arbeiten wird wohl eine Lebensaufgabe! 😉
Nicht dass mir dies nicht bewusst war, aber zuvor hatte ich einfach keinen Zugang für diese Themen. Weder Yoga noch Meditation sprechen mich an, Entspannungsübungen fand ich lediglich zeitfressend. Mehrfach hatte ich meinem Leben eine neue Richtung geben wollen, war auf diesen Wegen aber immer wieder gescheitert oder musste die Brötchen kleiner backen. Das heißt nicht, dass ich nichts erreicht habe – für den Außenstehenden liest sich mein Lebenslauf beeindruckend! Aber Frustration, Unzufriedenheit und mangelndes Selbstwertgefühl bestimmten über viele Jahre mein Leben, und tun es auch heute immer wieder einmal. Ich hatte zwar psychologische Unterstützung, verzweifelte aber immer wieder schier an meinen Lebensthemen. Im Schamanismus fand ich eine gewisse Ruhe, aber wenn man es nicht regelmäßig betreibt, bleibt der Zugang schwierig. Tja, und nun war das Bogenschießen in mein Leben getreten… es gibt ja bekanntlich keine Zufälle!

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Bild: André von der Beeck

Deswegen war auch kein Zufall, was Ende Juni passierte. Der JBC richtete sein Vereinsturnier aus, und im Rahmenprogramm konnte man mit einer „Windlanze“ schießen. Diese aus dem „Hobbit“ bekannte Mischung aus Bogen, Armbrust und Visier hatte eine Bogensportfirma nachgebaut. Der Erlös aus diesem Schießen kam einem Projekt für benachteiligte Kinder in Wuppertal zugute. Jedenfalls war ich eine von sechs Schützen, die auf 70m ins Gold getroffen haben! Und unter diesen sechs wurden vier Preise verlost, u.a. Trainerstunden bei CC. Halb im Spaß habe ich unserer „Losfee“ Sam gesagt: zieh‘ mir bitte das Training – und was macht der Knirps: zieht mir diesen Preis!

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Bild: nicht bekannt, aber meine Kamera 😉

Drei Einzelstunden fand ich allerdings „Perlen vor die Säue“, davon hätten sicher eher erfahrene Schützen profitiert. Glücklicherweise durfte ich den Betrag in Gruppenstunden „umwandeln“ und hatte so die Möglichkeit, mehrere Tage kostenlos mitzutrainieren!

Im JBC haben wir die Möglichkeit, mit zwei Trainern zu arbeiten, die vom Verein bezahlt werden. Bei beiden habe ich teilgenommen und mit einem werde ich auch weiter arbeiten. Aber was mir extrem wichtig wurde, sind die Stunden bei CC. Wann immer es geht, nehme ich teil, auch wenn ich natürlich längst meinen Obolus entrichte. Jedesmal nehme ich etwas mit! Schwierig ist es dann allerdings alleine zu üben. Zuerst kostete es Überwindung für mich, nicht gleich im Wald zu verschwinden, sondern auf der Schießbahn zu trainieren. Meine Befriedigung über einen guten Treffer ist am 3D-Ziel immer noch größer als an der Scheibe. Aber kontinuierliches Üben ist eben nur an der Scheibe möglich (man könnte sich natürlich auch ein „Gummitier“ hinstellen, aber es ist tatsächlich nicht das Gleiche).
Andererseits spiegelt dich die Scheibe. Habe ich im Parcours gepatzt, dann gehe ich weiter und versuche es einfach am nächsten Ziel. Die Scheibe ist da unerbittlich!

Als 3D-Schütze sind die Übungsmöglichkeiten etwas eingeschränkt. Wir haben keine Halle, sind also bei Wind und Wetter draußen. 2014 hatten wir ein gutes Jahr: die Sonntage (oder zumindest ein Tag am Wochenende) waren meist trocken. Ich habe es auch öfter geschafft, nach der Arbeit noch zum Gelände zu fahren (mit Bogensportgepäck, vor allem Langbogen -obwohl verpackt- in der Regionalbahn ist auch eine witzige Erfahrung…). Im November war ich in Reha (siehe gesonderter Blogbeitrag „Schwarzwald“) und durfte beim BSC Schömberg in der Halle mittrainieren (allerdings ohne Anleitung) und den Platz nutzen. Im Dezember war es allerdings einfach zu früh dunkel, um nach der Arbeit noch schießen zu gehen. Und das wird auch bis ca. Februar so bleiben. Einmal war ich an einem echten Regentag auf dem Parcours. Wenn ich es vermeiden kann, werde ich es nicht mehr tun… Ich war durchweicht, aber das war nicht schlimm – ein heißes Bad und Tee helfen! Schlimm: das gesamte Equipment wieder trocken zu bekommen! Man wird ja erfinderisch, der Wäscheständer musste zum Pfeiltrocknen herhalten… 😀
Zuhause ist es mit dem Schießen schwierig. Die Kindergartenleiterin möchte nicht, dass ich in „ihrem“ Garten (der eigentlich unser Hausgarten ist) schieße. Die Tiefgarage wäre toll, aber da habe ich einfach Angst dass etwas passiert. Und meine Wohnung ist einfach zu klein, aber da werde ich mir noch etwas einfallen lassen. Prinzipiell kann man auch in öffentlichen Wäldern schießen, der Bogen gilt in Deutschland nicht als Waffe. Aber in unserem gut frequentierten Meerbuscher Wald habe ich ehrlich gesagt keine Lust auf Diskussionen.

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Als das jetzige Trainingslager zum Jahresbeginn ausgeschrieben wurde, war ich sofort dabei. Ich habe die Teilnahme so aufgeteilt, dass es für mich finanziell machbar wurde – alles geht einfach nicht. Aber: mein Weihnachtsgeschenk an mich! 😉
Was für eine Erfahrung!
Leider musste ich mit manchen meiner Themen neu starten – oder den „Mist“, den ich mir zwischenzeitlich angewöhnt hatte, wieder abgewöhnen. Das ist eben das Problem, wenn man wochenlang niemanden hat, der einen korrigiert. Immerhin erinnert sich der Körper inzwischen schneller wieder an die korrekten Stellungen. 😉
Während ich Freitag, Sonn- und Montag jeweils halbe Tage mitgespielt habe, habe ich am Samstag die gesamte Zeit genutzt – was eindeutig zu viel war. Denn statt genügend Pausen zu machen und auch mal ein paar Passen auszusetzen, habe ich immer noch im Hinterkopf, dass ja auch die Pause Geld kostet (so sind die Schwaben…). Großer Fehler! Der Körper und der Geist benötigen immer wieder die Möglichkeit nachzuspüren und das Geübte „setzen“ zu lassen. Dieses Powern machte sich dann am Sonntag negativ bemerkbar: ich stand schief, zog die Schultern hoch und es lief einfach nicht. Also wieder etwas gelernt… am Montag ging es dann wieder deutlich besser! Das sah man nicht unbedingt am Trefferbild – denn beim Üben der Technik geht es nicht ums Treffen! Das ist für mich immer noch nicht leicht zu akzeptieren, stellt doch der Treffer den „Erfolg“ dar, den man bei einer sportlichen Betätigung sucht. Aber nur wenn die Technik stimmt und reproduzierbar „sitzt“, kann der Pfeil dorthin fliegen, wohin ich ihn mir wünsche. Auch „Loslassen“ gehört daher zu den Lernzielen: den Erfolgsdruck! Als „Perfektionist“ ist das ein Thema: man möchte ja „gut“ sein. Aber für wen und warum? Warum nicht einfach Spaß haben!?!?!

Was für die erfahrenen Schützen sicher viel wertvoller ist, habe auch ich schätzen gelernt: mithilfe einer Videokamera und einem Beamer die eigene Haltung im Schussablauf überprüfen! Normalerweise sieht man sich ja nicht, und selbst vor meinen Spiegeltüren am Kleiderschrank habe ich keinen so guten Blickwinkel. Die Videokamera nimmt von schräg oben auf, so dass man von schräg oben „auf sich“ blicken und die Rückenlinie sehen kann. Man stellt sich automatisch aufmerksamer auf! Auch das Feedback der anderen Schützen und das Beobachten war spannend für mich. Auch wenn ich weiterhin viel lieber draußen bin und in die Natur gehe, konnte ich ein wenig spüren, warum auch die „Olympic-Schützen“ fasziniert von ihrem Sport sind – und sich das Equipment letztlich nur vom materialtechnischen Aufwand und dem Interesse des Schützen unterscheidet.

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Am Sonntag machte ich auch endlich meine Hausaufgabe: den Schussablauf aufschreiben. Ich wusste gar nicht so recht wie das geht, aber ich durfte mir eine „Kurzversion“ anschauen. Als ich mich dann an die Excel-Tabelle setzte, merkte ich erst so richtig, wie komplex das ganze Thema ist. Und das ist ja nur mein bisschen Anfängererfahrung.
Da bin ich dann auch ganz schnell wieder bei meinen Lebensthemen: Konzentration, Achtsamkeit und Geduld. Ach! :.
Als mir das bewusst wurde, habe ich mich am Montag auf diese Punkte fokussiert, vor allem die Achtsamkeit mir selbst gegenüber! Zum Abschluss durfte ich mich nochmal in das Videosystem stellen und es gelang mir eine Passe mit 6 Pfeilen akurrat an eine Stelle der Scheibe zu setzen = Linie, Rückenspannung… alles war reproduzierbar und „saß“! Was für eine Erfahrung!
In vier Tagen so viel gelernt, gelacht, gespürt, nachgedacht, gesehen…

Tja, und nun habe ich dieses Blog begonnen. Ich möchte für mich festhalten, was das Bogenschießen mit mir macht. Ob das jetzt ein „Trainingstagebuch“ wird, weiß ich jetzt noch nicht. Vielleicht ein Sammelsurium aus Erlebnissen und Gedanken?
Jedenfalls scheint es dieser Sport DIE Möglichkeit zu sein, an meinen Lebensthemen zu arbeiten. Zufälle gibt es nicht, und so sehe ich meine derzeitige Lebenssituation inzwischen etwas anders. In meinem Denken gibt es weiterhin Höhen und Tiefen (oh ja, und die Tiefen sind Abgründe! Dazu werde ich ein andermal schreiben…), aber grundsätzlich tut sich etwas: zum Positiven! Beispielsweise habe ich im Moment zwar weniger Geld, aber mehr Freizeit – die ich mit dem Bogen verbringen kann. Veränderungen sind weiterhin schwierig auszuhalten, aber etwas Neues ist nicht automatisch „schlecht“. Ich darf selbst entscheiden, was mir wichtig ist (natürlich mit allen Konsequenzen). Vielleicht komme ich die nächsten Jahre nicht mehr in mein geliebtes Afrika :**: , aber ich habe doch die Erinnerung an diese wunderbaren Wochen. Ich darf mir etwas Gutes tun – und suche mir selbst aus, was ich mir gönne!
Wo dieser Weg mich hinführt, weiß ich nicht, aber es ist MEIN Weg, über den ich selbst bestimme.
Vor allem: Ich darf endlich wieder etwas lernen – und Spaß haben! :yes:

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Bild: unbekannt