Archaische Kraft

Ich habe eine Übung bekommen: „gehe an die Scheibe auf 3 m und fühle, was du machst.“
Da ich derzeit nur in meiner Schießbude üben kann, geht es wegen dem Türsturz nur auf 2,5 oder 4 m – aber das ist irrelevant. Denn es kommt auf das Gefühl an.

Nach ein paar „Probeschüssen“ habe ich mich dann darauf eingelassen. Wie fühlt sich das Bogenschießen eigentlich an?

Es ist etwas Kraftvolles, das sich da Bahn bricht! Eine Kraft, die fasziniert! Und (zumindest mich) doch auch ein wenig verunsichert. Woher kommt diese Verunsicherung?

Ich bin kein Freund davon, immer in die Vergangenheit zu schauen. Aber in diesem Fall ist es interessant. Anfang der 60er auf dem Land geboren, herrschten klare Rollenverteilungen. Gegen dieses klassische Modell habe ich schon früh aufbegehrt! Puppen wurden mir zum Glück nicht aufgezwungen, aber das gewünschte Konstruktionsspielzeug habe ich eben nicht bekommen. Während ich mich zuhause wenig in Rollenmuster fügen musste, war das „draußen“ ganz anders. Als Mädchen durfte man nicht mit den „guten“ Jungs Fußball spielen. Mir blieben nur die Jungs, die von den anderen nicht anerkannt waren. Und die durften eben nicht auf den Bolzplatz: wir kickten gegen Scheunentore, ansonsten trieben wir uns im Wald herum, bauten Dämme am Bach oder schauten nach Kröten und Molchen. In den kindlichen Rollenspielen war ich immer eine männliche Figur, daher durfte ich als Indianer Bogenschießen oder als Marshall die Bankräuber festnehmen. Mädchenkram hat mich nie interessiert. So war das eben damals auf dem Land: wenn man „anders“ war, konnte man das zwar sein, aber man erfuhr dadurch Nachteile, mit denen man eben leben musste – oder weg gehen. Die 68er waren bei uns nicht angekommen, und ich war natürlich zu jung zu verstehen, was sich da tat. Später auf dem Gymnasium in einer liberalen Universitätsstadt wurde das natürlich anders. Die Frauenbewegung war rührig! Aber diese Frauen waren eben alle älter, für Mädchen gab es damals noch keine Angebote. Erst als es aufs Abitur zuging, gab es im Frauenhaus Kurse für Selbstverteidigung. Dies war das erste Mal, dass „frau“ ihre Kraft spüren und leben durfte und konnte! Natürlich brauchte man Kraft auch zum Arbeiten. Aber Kraft für sich selbst einzusetzen war etwas völlig Neues! Und es hat großen Spaß gemacht, diese Kraft zu spüren! Ich weiß noch, wie stolz wir alle waren, dass wir ein Holzbrett mit der Handkante brechen konnten. Und wie gut das dem Selbstbewusstsein tat! Nur sind solche Fähigkeiten im Alltag leider eher nutzlos… :-/

Letztlich war „Emanzipation“ immer ein persönlicher Prozess. Schade, dass dieses Wort heute so abfällig benutzt wird! Männer in meinem Alter haben übrigens oft ähnlich gelagerte Erfahrungen. Ihre Sozialisation hat bedeutet, dass Mütter sie beispielsweise nicht haben kochen oder backen lassen. Viele hatten später immerhin den „Vorteil“ beim „Bund“ gewesen zu sein, und haben dort putzen und auf ihre Kleidung achten gelernt. Wollte ein Junge mit Puppen spielen, musste er es heimlich tun! Viele Männer meiner Generation sind tatsächlich schnell in die Rolle des Familienernährers geschlüpft. Sollte sich etwas an der klassischen Rollenverteilung ändern, mussten die Paare sich das mühsam erarbeiten! Und wie man an den Trennungen und Scheidungszahlen sieht, hat das häufig nicht funktioniert.

Jungen hatten damals jedoch den Vorteil, dass sie ihre Kräfte üben, messen und ausleben konnten. Ob beim Fußball, sonstigen Sportarten oder in der Jugendfeuerwehr. Mädchen hat man damals nicht zugestanden, dass „frau“ sich körperlich einbringt. Dass Buben raufen, war normal – Mädchen durften sich höchstens verbal wehren und sollten sich ansonsten zurück halten. Jungen haben also von klein auf gelernt, mit Kraft umzugehen und sie wertzuschätzen.

Was hat das nun alles mit der Kraft beim Bogenschießen zu tun? Generell sind Frauen in den Schießsportarten unterrepräsentiert. In den olympischen Disziplinen haben die Frauen mächtig aufgeholt, aber an der Basis melden sich deutlich weniger Mädchen und Frauen an.
Erst neulich habe ich mich geärgert: eine Frau fragte an, ob ihr Sohn mal zum Ausprobieren kommen könne. Wir besprachen also alles und ich lud sie ein, mit der ganzen Familie zu kommen. „Wie, mit den Mädchen auch?“ Ja klar, natürlich auch mit den Mädchen! Innerlich war ich entsetzt und wütend – wie kommt es, dass solch starres Denken bei „modernen“ jungen Müttern immer noch „normal“ ist? Sollten die Mädchen dann keine Lust haben, ist es ja wieder etwas Anderes. Aber dass man ihnen so ein Angebot erst gar nicht macht!?!?!? Erst durch „Tribute von Panem“ und „Merida“ verirren sich überhaupt Mädchen und junge Frauen auf einen Bogenplatz – falls sie das Schießen nicht durch Familie und Freunde kennen lernen.

Dabei gibt es doch positive Beispiele, und das bereits aus der Geschichte und der Götterwelt der Antike.

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Warwick Gobles Bild der Zenobia, Königin von Palmyra, strahlt für mich eine große Anziehungskraft aus. Zenobia hat ihr Königreich lange erfolgreich gegen die Römer verteidigt!

Für mich geht das Bild noch tiefer. Für mich stellt es die römische Göttin Diana oder ihr griechisches Pendant Artemis dar. Göttinnen, die nicht nur von Frauen, sondern auch von Männern verehrt wurden. Denn die Jägerin strahlt eine große Kraft aus! Sie stellt sich dem Wild, was ja durchaus nicht ungefährlich ist. Sie tut es im Einklang mit der Natur, in der der eine sterben muss um den anderen zu ernähren. Mit Furcht in den Wald zu gehen, würde nicht funktionieren. Angst überträgt sich auf das Wild. Die Göttinnen sind selbstbewusst und setzen sich in der Mythologie auch immer wieder gegen ihre männlichen Pendants durch. Mit dem Aufkommen des Christentums war es damit natürlich vorbei. Da durfte es nur noch einen männlichen Gott geben, die Göttin blitzte nur noch in der Figur Maria hervor – die jedoch nur demütig in der zweiten Reihe steht. Selbstbewusste Frauen wurden als Hexen verbrannt… Schlummert ein solches Erbe immer noch in uns, so dass sich Frauen teilweise auch heute noch ihrer Kraft nicht bewusst sind? Und dies dann unbewusst auch ihre Töchter (und Söhne) lehren?

Das Bild ist für mich auch deshalb wertvoll, weil es die Königin/Göttin in Begleitung von zwei Geparden zeigt. Faszinierende Katzen, mit denen ich in Südafrika das Glück und die Freude hatte zu arbeiten und sie wirklich ganz aus der Nähe kennen zu lernen. Zahme Geparde sind wunderbare Wesen, die eine große Gelassenheit ausstrahlen. Im Orient, dem arabischen Raum und in den nordafrikanischen Ländern wurden Geparde schon vor Jahrtausenden als Jagdgefährten und Wächter gehalten. Von klein an an den Menschen gewöhnt, kann daraus eine echte Gemeinschaft entstehen, in der beide voneinander profitieren. Ab und zu schließen sich wilde Geparde an Menschen an. In der Kalahari gibt es eine Gruppe San (Buschleute), die mit Geparden lebt und jagt.

Jack Somerville bei den San

Kraft… auf jeden Fall ist das ein Thema für mich! Mir meiner Kraft bewusst werden (und nicht nur dann, wenn gerade ein Trainerauge über mich wacht). Meine Kraft annehmen und wertschätzen. Und schließlich diese Kraft auch genießen!
Darum wird es also in meinen nächsten Übungen gehen. Vielleicht im „Umweg“ über diese göttliche Kraft der Diana/Artemis, die in uns Frauen wohnt – und vielleicht nur wieder erweckt werden muss…

Gerade das 3D-Schießen weckt die Reste des urzeitlichen Jägers in uns. Wenn wir auf der Suche nach unseren Zielen durch den Wald „pirschen“, hat das etwas Archaisches – auch wenn es nur Gummitiere sind. Dies und die Kraft des Bogens in unseren Händen machen eine große Faszination aus und lehren uns unser Selbst anzunehmen und zu entwickeln.

Wie jede und jeder beim Bogenschießen mit dem Thema „Kraft“ umgeht, ist eine höchstpersönliche Empfindung. Die eine genießt die Kraft einfach als große Power, der andere müht sich mit der Kraft eines zu hohen Zuggewichts… 😉

Darüber nachzudenken lohnt sich allemal!

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